Heute muss man die Form :innen verwenden, um zu zeigen, dass man für Geschlechtergerechtigkeit eintritt. Tut man es nicht, landet man in der falschen Schublade. Darf man noch selbst denken?
Denkfehler
Sprache wandelt sich permanent, doch manchmal scheint mir, da wird reichlich unüberlegt Unsinniges durchgesetzt. Ein schönes Beispiel ist, dass wir Deutschen aus dem scharfen ß überhaupt eine Regel machen. Wie ich während des Studiums im Fach Schrift lernte, ist das ß nichts weiter als eine von zahlreichen Ligaturen. Da man lange alles von Hand schreiben musste, gewöhnten Schreiber sich an bestimmte Buchstabenfolgen zu einem Zeichen zu verbinden. In der Kleinbuchstabenschrift schrieb man ursprünglich im Wort ein langes s, ähnlich wie ein f nur ohne durchgezogenen Querstrich. Nur am Wortende wurde das geschwungene s verwendet. Endete ein Wort mit zwei ss, dann wurde ein langes und ein rundes mit der Zeit zu einer Ligatur, dem ß verbunden.
Man bräuchte also nicht alle Lernenden mit völlig überflüssigen Regeln zu behelligen, sondern könnte das ß wieder verschwinden lassen. Sogar ich gewöhnte mich bald daran, dass mit zwei ss zu schreiben. Was hat der Buchstabe ß überhaupt auf einer Tastatur verloren? Unter den Großbuchstaben gibt es diesen ja auch nicht.
Sprache ist nicht logisch
Eine Zeit lang wurde ich beim Thekendienst im Kino von Asylbewerbern um Hilfe bei der deutschen Sprache gebeten. Mit dem Smartphone in der Hand standen sie am Tresen und verstanden nicht, was auch unerklärlich ist. Die deutsche Sprache ist zwar schön, aber eben völlig unlogisch. Wie erklärt man einem Syrer zum Beispiel, warum es der Löffel, die Gabel und das Messer heißt.
Erstaunlicherweise werden auch in den romanischen Sprachen unnötig männliche und weibliche Artikeln verwendet. Besonders schön ist das Beispiel el Sol und la Luna, was übersetzt der Sonne und die Mond wäre. Es ging eindeutig gar nicht darum, etwas als männlich oder weiblich zu definieren. So klingt es einfach schöner. Kinder lernen die Muttersprache nach dem Klang, da muss nicht alles logisch sein.
So gesehen müsste Mensch, Bürger, Lehrer, oder was auch immer, selbstverständlich immer alle Geschlechter meinen. Meiner Ansicht nach war es ein Fehler, der sprachlichen Unterscheidung in männlich und weiblich überhaupt Bedeutung beizumessen. Unbestreitbar ist die Entwicklung unserer Sprache männlich dominiert – ganz einfach weil Frauen für lange Zeit nichts zu melden hatten – das stört verständlicherweise viele. Berufsbezeichnungen werden als maskulin aufgefasst, aber Frauen arbeiteten da häufig mit ‒ bei den Bauern, den Webern, Händlern – wo immer es nötig war.
Es gibt weibliche Ausnahmen wie die Hausfrau und die Krankenschwester. Ein Cousin hat in der Ausbildung stets gesagt: „Ich werde Krankenschwester.“ Natürlich wurde er von da an Schwester Magnus genannt. Aber Schwester stammt aus einer Zeit, als diese Arbeit nur Klosterschwestern gemacht haben. Eva ist Krankenpfleger, Adam und Eva sind Haushälter, warum nicht?
Ist :innen nicht sogar eher abwertend?
Berufe für Männer und Frauen unterschiedlich zu bezeichnen war völlig unnötig. Steckte in der weiblichen Form nicht sogar eher eine latente Abwertung? Manche fragen heute noch nach dem Herrn Doktor, wenn eine Ärztin sie behandeln will, oder wundern sich, wenn die Telekom wegen der Leitungsstörung eine Frau schickt. Auch: „Ich bin Künstler“ klingt doch gleich viel professioneller, als wenn eine Frau sagt: „Ich bin Künstlerin.“ Wie viele Leute denken da: „Der Mann verdient das Geld und die Hausfrau malt nebenbei ein bisschen?“ Zumindest in den Nachkriegsgenerationen, für die es noch üblich war, dass eine Ehefrau und Mutter Zuhause blieb.
Gleichheit der Geschlechter ist unmöglich
Anstatt mit Formalitäten wie einer gendergerechten Sprache, sollten wir uns mehr mit der wirklichen Gleichberechtigung beschäftigen. Was die Arbeitswelt angeht, wäre das einfach. Doch ausgerechnet an dem, für den Fortbestand der Menschheit, wichtigsten Punkt ist Gleichheit unmöglich ‒ rein biologisch. Mit ihrer Gebärfähigkeit trägt die Lasten der Fortpflanzung eindeutig die Frau. Zumindest solange Frauen den Nachwuchs in ihrem eigenen Körper ausbrüten und gebären. Gewisse Politiker fordern, die Entwicklung einer künstlichen Gebärmutter voranzutreiben. Wenn man weiß, wie stark und vielfältig der Austausch zwischen Mutter und Ungeborenem ist, fragt man sich schon, was für Menschen aus so einer Maschine herauskommen werden. Ob es bei der künstlichen Gebärmutter wohl um Gleichberechtigung geht? Manche Männer fühlen sich wegen ihrer Unfähigkeit zu gebären und zu stillen Frauen gegenüber benachteiligt.
Für das Kind wäre es am besten, nach der Geburt noch mindestens ein Jahr lang gestillt zu werden. Und ich denke, dabei geht es nicht nur um die Qualität der Muttermilch. Stillen ist ein Ganztagsjob, den bisher auch nur Frauen leisten können.
In Deutschland wird derzeit sehr viel für die Gleichstellung von Vätern getan. Anfangs ist der Beitrag der Väter allerdings naturgemäß gering. Dass Frauen ihr halbes Leben lang eine von vier Wochen unter der Menstruation leiden und die Last der Verhütung alleine tragen, noch gar nicht mitgerechnet.
Das müsste alles mit aufgewogen werden, wenn von Gleichberechtigung von Vätern die Rede ist. Bei allem Mitgefühl für die Väter, die ihre Kinder genauso lieben und sie aufwachsen sehen möchten, ist gleiches Recht für Mütter und Väter eben nicht gerecht.
Rechte für Väter
Allen Vätern das gleiche Recht auf den Kontakt zu ihren Kindern zugestehen bedeutet auch, dass die Mutter den Kerl nicht mehr los wird der sie geschwängert hat. Zwingt das manche Frauen nicht schon fast zu einer Abtreibung? Wie oft gehen Frauen Sexualkontakte nicht beabsichtigt ein, sondern werden dazu überrumpelt? Ein UN-Jahresbericht meldet im März 2022, weltweit seien fast die Hälfte aller registrierten Schwangerschaften ungewollt.
Niemand sollte sich das Recht herausnehmen, einer ungewollt Schwangeren bei der Entscheidung über eine Abtreibung Vorschriften zu machen. Für jede Frau ist eine Abtreibung schwer genug. Männer haben zu diesem Thema sowieso nichts zu sagen. Sie sollten erst einmal aufhören, den Frauen die Last der Empfängnisverhütung alleine aufzubürden. Denn mal ehrlich, in der Erfindung der Pille die große sexuelle Befreiung sehen, das kann doch nur ein Mann. Die Pille macht die Frau allzeit verfügbar und befreit den Mann von jeglicher Verantwortung. Sie muss zum Arzt, in die Apotheke, muss regelmäßig schlucken und bekommt am Ende einen Schlaganfall. Die gesundheitlichen Nachteile der Pille sind durchaus mit den Risiken der Corona-Impfung vergleichbar. Doch von Frauen wird ganz selbstverständlich erwartet, dass sie die Pille nehmen. Gut, dass sich da Widerstand regt.
Inzwischen ist eine junge Elterngeneration auf der Suche nach einem sinnvollen Leben. Dazu gehört nicht nur die Anerkennung für herausfordernde Aufgaben im Job. Auch Väter wollen jetzt das Heranwachsen ihrer Kinder miterleben. Nach der – meiner Meinung nach absolut schützenswerten – Stillzeit, sind Männer genauso geeignet für Kinderbetreuung und Hausarbeit wie Frauen.
Seit auch im ländlichen Raum schon für ganz kleine Kinder Ganztagsbetreuung angeboten wird, ist eine Vollzeitbeschäftigung für beide Elternteile möglich. Die Schwäche des Systems zeigte sich in der Corona Pandemie aber deutlich und wieder waren es vor allem Frauen, die beruflich zurücksteckten. Von den vielen Kita-Skandalen einmal ganz abgesehen, muss die Arbeitswelt sich noch deutlich mehr um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bemühen ‒ für Frauen genauso wie für Männer.
Nach einer Trennung werden einige Mütter aus allen Wolken fallen, wenn sie hilflos zusehen müssen, wie Väter und Behörden sie aus der Betreuung ihrer Kinder drängen – ich zum Beispiel. Als ich der Richterin sagte, ich hätte für die Familie eine sehr gut bezahlte Stelle aufgegeben, meinte sie: „Das hätten sie ja nicht machen müssen.“ Alleinerziehende Mütter sind das größte Problem, das es möglichst zu vermeiden gilt.
Wenn die Gleichheit von Mann und Frau in Beruf und Familie angestrebt wird, wozu braucht unsere Sprache geschlechtsspezifische Bezeichnungen? Das einzige, das bei allem medizinischen Fortschritt in absehbarer Zeit nicht für alle Geschlechter gleichermaßen machbar ist, bleibt Mutter. Übrigens endet dieses Wort auf …er, genau wie Arbeiter und niemand ist auf die Idee gekommen ein …in anzuhängen.
(m/w/d) – wen geht das etwas an?
Studien haben zwar ergeben, dass wenn in der maskulinen Form gefragt wird, zum Beispiel nach Namen von Lieblingssängern, die meisten an Männer denken. Erst recht natürlich bei Wissenschaftlern. Daran, dass Frauen alles machen, müssen wir uns erst gewöhnen. Wenn man aber die gendergerechte Form Sänger:innen verwendet, denken die meisten an Frauen. Besonders gesprochen macht die kleine Pause vor dem :innen nicht den großen Unterschied. Da kann ich schon verstehen, wenn Männer sich mit den Sänger:innen nicht so recht repräsentiert fühlen. An Diverse dachte bei den Umfragen sowieso niemand.
Anstatt nach Formen zu suchen um auch diese Zielgruppe korrekt anzusprechen, wäre es vielleicht sinnvoller den Unterschied (m/w/d) gar nicht mehr zu machen. Selbstverständlich sollte immer alles gleichberechtigt für alle gelten. Warum muss man das dazusagen? Etwa bei Stellenanzeigen.
Bis zum Alter von ungefähr acht Jahren sind Jungen und Mädchen hormonell eigentlich gleich. Die früh erkennbaren geschlechtsspezifischen Vorlieben entstehen aus der überlebensnotwendigen Anpassungsfähigkeit kleiner Kinder an ihr Rudel. Wahrscheinlich wären wir gar nicht so verschieden, wenn nicht von Geburt an ein so großer Unterschied gemacht werden würde.
Wenn bald jeder alles darf ‒ spielen, arbeiten, sich anziehen, lieben wie man will ‒ dann könnten wir das zur Privatsache machen. Die Vielzahl von Begriffen und Abkürzungen, die alle möglichen Abstufungen sexueller Orientierung bezeichnen, mag für Biologen und Ärzte relevant sein. Ich möchte aber nicht gefragt werden ob ich Cis oder sonst was bin. Das geht nicht nur niemanden etwas an, man sollte sich nicht einmal auf etwas festlegen müssen.
Wozu wird mit der Anrede auf Formularen überhaupt das Geschlecht abgefragt? Fast immer dürfte es doch völlig egal sein ob man weiblich, männlich, oder beides ist. Nachweislich werden von Algorithmen ‒ die immer mehr Entscheidungen übernehmen, egal ob es um Personalentscheidungen oder Bankdarlehen geht ‒ Frauen diskriminiert. Dass diese Algorithmen bisher vor allem von weißen Männern programmiert werden, wirkt sich offensichtlich aus. Klar muss sich auch das ändern. Aber vielleicht wäre es besser, wenn der Algorithmus das Geschlecht gar nicht erkennt. Es spricht auch wenig gegen geschlechtsneutrale Vornamen.
Sprache wandelt sich ständig und dagegen ist nichts einzuwenden. Doch wenn wir uns schon umgewöhnen müssen, dann besser gleich an etwas praktisches und nicht noch ungeschickter wie mit diesen :innen. Und wenn wir schon so viel aus dem Englischen übernehmen, könnten wir uns auch das geschlechtsneutrale the zum Vorbild nehmen. Von den derzeitigen Versuchen einer gendergerechten Sprache bin ich jedenfalls nicht überzeugt und werde sie deshalb vorerst nicht verwenden.